Tobias Borstel

“Unsere Verantwortung kennt keinen Schlussstrich”

– Frank-Walter Steinmeier

Diese jüngsten Worte unseres Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier wirken mahnend und sie sind ein Bekenntnis gegen die Unvernunft. Er hat Recht, denn wir alle können uns unserer Verantwortung nicht entziehen, denn wir sind Wissende. Wir wissen was passieren kann, wenn wir dem Unrecht freien Lauf lassen.  Und wir alle wissen nur zu gut: Unrecht geschieht jeden Tag auf unserem Erdenball, leider auch in Europa. Es ist viel passiert, seit die Kanonen verstummten und die Panzer erlahmten. Wir haben gelernt und wir haben verstanden, dass Europa – und mit Ihr die Welt – einst geschändet wurde durch Unrecht – 12 Jahre, 3 Monate und 9 Tage lang. Es war die Zeit des Nationalsozialismus – die Zeit der dunklen Jahre voller Entbehrung, Verlust und Angst – die Zeit in der mehr als 50 Millionen Menschen durch fremde Hand ihr Leben ließen. Im Mai 1945 endete die dunkle Zeit der Naziherrschaft, doch die Auswirkungen auf die Generationen sind bis heute spürbar. Und um dieser Auswirkungen wegen – im Gedenken an das Unrecht – tragen die Generationen nach uns weiterhin diese schwere Verantwortung. Auch das ist Resultat des größten Extrems der Neuzeit. Eines Weltenbrandes, der Millionen mit sich in den Tod zog. Erwachsen aus Eitelkeit, Frust, Neid und Missgunst und dem unbedingten Drang nach Geltung des eigenen kleinen ICHs gegenüber. Und dieses kleine ICH war massenhaft vorhanden und zugleich der Nährboden zum Nacheifern bis hin zum willfährigen Massenmord im Dritten Reich.  Mich persönlich beunruhigt, dass die Zahl der Mahner dieser dunklen Zeit stetig abnimmt und zugleich die Gleichgültigkeit gegenüber einer zu verrohen drohenden Gesellschaft wächst. Vielleicht war uns die Menschlichkeit, dieses hehre Ideal, nach der wir uns so sehr sehnen – einst näher und bewusster als sie es heute ist.  In der Hoffnung, dass die Menschen klar sehen mögen, dass die Gefahr, dass das Unrecht in dieser extremsten Form wiederkehrt auch heute noch besteht. Schlimmer noch, die Gefahr nimmt zu und der vehemente Einsatz gegen die Unvernunft und gegen das Unrecht ist unsere Verantwortung die wir weitergeben müssen an die Generationen die uns folgen werden. Ja die eitle Fratze des Unrechts zeigt sich nicht nur dann, wenn man die Abendnachrichten schaut und unfassbare Bilder aus Syrien, dem Sudan oder dem Jemen sieht. Bilder, die einst aus dem zerstörten Europa kamen. Nein, sie zeigt sich auch bei uns – hier – in unserem neuen Europa und viel deutlicher noch in unserem Land. Und diese Fratze zeigt sich immer mehr, wie durch feige Angriffe auf Menschen aus anderen Ländern oder Morde an Menschen aus unserer Mitte, wie uns der jüngste Mord an Walter Lübcke erschütternd vor Augen hält. Die Fratze zeigt sich immer deutlicher bei Aufmärschen in unserer Mitte – und durch die Bestätigung bei den jüngsten Wahlen in der Bundesrepublik. Populismus und ideologisch braun gefärbtes Denken wird wieder salonfähig. Nein, es ist viel schlimmer noch und manchmal noch verheerender – manchmal fängt es erst damit an. Aus Wut erwächst Unheil. Und diese blinde Wut gegen das Unbekannte, das Etablierte oder Unbegreifliche das kann sich ganz schnell zu einer Wut gegen alle entwickeln. Gegen Sie, oder Sie, oder sogar Sie.

Tobias Borstel ist Bürgermeister der Gemeinde Großbeeren